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Früher nannte man das Tu-Wörter

Ein Einblick in das Labyrinth der Linguistik.


In der ersten Klasse lernt man neben Schönschrift und dem Umgang mit einem Buchstabensetzkasten vor allem eines ganz schnell: Es gibt Dinge, die kann man anfassen, dazu sagt man Dingwörter; es gibt Dinge, die irgendwie sind, das sind Wie-Wörter; und dann gibt es noch Dinge, die man tun kann - das sind Tu-Wörter. Schwupps, schon ist die eigene Welt beschrieben. Ein paar Jahre später wird dann umgesattelt auf Nomen, Adjektive und Verben und die Welt ist immer noch ganz gut im Gleichgewicht. Und dann kommt eines Tages sie: Die Verbmorphologie.


Genauer gesagt im zweiten Semester. Ganz unangekündigt aus dem Sprachwissenschaftseck meines Modulkatalogs. Natürlich war mir klar, dass ich beim Studium der Sprach- und Textwissenschaften mit Grammatik konfrontiert werde - aber wer kann schon das Linguistikchaos erahnen, bevor er es gesehen hat? Hier also ein paar Erkenntnisse eines Verbamateurs.


Die Geschichte ist schuld

Eigentlich war das mit der Flexion mal eine ganz einfache Sache: Früher, zwischen 750 und 1050 im Althochdeutschen, gab es für die verschiedenen Wortformen unterschiedliche Bausteine und Endungen. Daran erkannte man genau, ob der Andere gerade im Singular oder Plural sprach und ob er sich, dich, oder jemand anderen meinte. Das Problem begann mit diversen Veränderungen in der Sprache, die auf der lautlichen Ebene sowohl die Vokale als auch die Konsonanten betraf und auf der morphologischen Ebene die Bausteine. Es gab also einen Lautwandel und einen morphologischen Wandel in der Sprache. Dadurch verschwanden auf der einen Seite einige der Bausteine, wieder andere glichen sich an. Auch die Stammvokale der starken Verben wurden analogisch neu gebildet. Während man im Mittelhochdeutschen noch wir wurfen sagte, heißt das heute selbstverständlich wir warfen.


All diese Veränderungen auf dem Weg vom Althochdeutschen über die Sprachstufen Mittelhochdeutsch und Frühneuhochdeutsch bis zum heutigen Neuhochdeutsch führten dazu, dass die Kommunikation zwischen den Menschen nicht mehr eindeutig funktionierte und sie nach Lösungen suchen mussten. Was wiederum zu weiteren Veränderungen in der Sprache führte. Das geschah natürlich nicht bewusst und über einen langen Zeitraum hinweg. Unter anderem haben wir diesem Prozess unsere Artikel der, die, das und die Pronomen (z.B. er, mich, mein, es) zu verdanken.


Königsdisziplin starkes Verb

Früher hatten die Menschen 7 Ablautreihen, das heißt verschiedene Arten von Vokalfolgen eines Verbs, je nach Gebrauch. Diese Vokalfolgen nennt man Ablautstufen. Jede Vokalfolge bestand aus vier Vokalen, dabei stand jeder Vokal für ein anderes Tempus. Heute setzen sich die Ablautreihen nur noch aus drei Ablautstufen zusammen. Sie repräsentieren die Tempora Präsens-Präteritum-Partizip II. Ein zeitgenössisches Beispiel dafür wäre etwa die Vokalfolge e-a-o bei dem Verb werfen-warf-geworfen. Zu jeder dieser Ablautreihen gehören wiederum mehrere Verben, die sich nach dem selben Muster verändern. Im heutigen Neuhochdeutsch gibt es eine Menge mehr Ablautreihen als noch im Mittelhochdeutschen.


Generell verändern sich Verben nach folgenden Flexionskategorien: Person (ich, du, er/sie/es, wir, ihr, sie), Numerus (Singular, Plural), Modus (Indikativ, Konjunktiv, Imperativ), Tempus (8 versch. Zeiten wie z.B. Präsens/Gegenwart) und Genus Verbi (Aktiv, Passiv). Dabei gibt es Veränderungen IM Wort wie den oben genannten Wechsel des Stammvokals im Beispiel ich gehe zu ich ging und Veränderungen AM Wort, wie z.B. den Wechsel von ich geh-e zu du geh-st. Und noch ein einige weitere Besonderheiten.

All diese Muster und Bildungen versucht die liebe Linguistik in Schemata, Theorien und Regeln zu packen, damit wir Normalmenschen sie besser verstehen können. Aber ganz einig sind sie sich dabei auch nicht. Grundlegend unterscheidet man heute aber starke, schwache und unregelmäßige Verben und davon finite und infinite Verben. Und welches Verb warum wohin gehört - da sind sich die Linguisten doch recht einig.


Deutsche Sprache, schwere Sprache?

Wenn ich Eines in meinem zweiten Semester verstanden habe, dann, dass meine Muttersprache für mich selbstverständlich ist. Mir war nicht annähernd bewusst, wie komplex sie ist. Bis vor einigen Monaten habe ich noch in meiner kleinen, bunten Tu-Wörter-Welt gelebt.

Wenn es Einem nicht gerade den Kopf zermalmt, ist das schon spannend: Geschichtliche Entwicklung, menschliche Kommunikation und geographische Einflüsse haben unsere Sprache verändert und verändern sie immer noch. Ein großes Wunder also, das ich zu verstehen versuche.

Respekt gebührt Jedem, der das als Nicht-Muttersprachler versucht. Oder Deutsch sprechen lernt. Ihr seid kleine Helden. Ehrlich. Und wenn ihr irgendwann mal zur Kommata-Setzung kommt, ruft mich an. Die hab ich nämlich schon immer nicht verstanden.



Alle Infos hier stammen aus meinen Lehrbüchern zum 2. Semester und einem ganz tollen YouTube-Kanal. Hier die Links:



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